Olympisches Gewichtheben vs. Zugübungen für Athleten

Olympisches Gewichtheben vs. Zugübungen für Athleten

Als Performance Coach verfolgt man das Ziel körperliche Leistung von Athleten oder Athletinnen zu verbessern und gleichzeitig gegen Verletzungen präventiv vorzugehen. Unser Anliegen ist es, die SportlerInnen für den nächsten Wettkampf in Bestform zu bringen. Dazu werden unterschiedliche Trainingsmethoden zu unterschiedlichen Trainingsphasen angewendet. Anhand dieser Methoden erhofft man sich, dass der Athlet oder die Athletin sich einen Vorteil in seiner/ihrer Sportart verschafft.

Eigentlich ist das Olympische Gewichtheben (OG) eine eigene Sportart, bei der es darum geht, möglichst viel Gewicht durch Reißen oder Stoßen über Kopf zu stemmen. Es erfordert neben einer ausgeprägten Maximalkraft eine hohe Schnellkraft. Auch in Teamsportarten oder Einzelsportarten sieht man immer wieder TrainerInnen, die OG in das Training integrieren. In Umfragen wurde ersichtlich, dass 88%-100% aller TrainerInnen Olympisches Gewichtheben in ihren Trainingsprogrammen integrieren (Duehring, 2009; Ebben, 2001).

Doch warum? Bringt OG, gegenüber anderen Trainingsmethoden, Vorteile mit sich? Macht es Sinn für SportlerInnen? Gibt es vielleicht Trainings-Alternativen, die einfacher und sogar effektiver sind?

Dieser Artikel soll dazu beitragen, einen Einblick in die aktuelle Datenlage zum Thema OG zu bekommen. Des Weiteren, soll er TrainerInnen, Coaches aber auch AthletInnen dabei helfen, die Entscheidung zu treffen, ob sie OG in ihren Trainingsplan implementieren wollen.

Bietet OG Vorteile gegenüber anderen Trainingsmethoden?

  • Im Vergleich zu der Kniebeuge und dem klassischen Kreuzheben erzeugen Übungen aus dem OG bei gleicher Last eine deutlich höhere Schnellkraftentwicklung (RFD: Rate of Force Development) und großteils auch eine höhere Peak Power sowie Peak Force (Kawamori et al. 2006; Swinton et al. 2011; Swinton et al. 2012; Comfort et al. 2011; Hori et al. 2009; Mcbride et al. 2002).
  • Baker et al. (1999) konnten einen Zusammenhang zwischen dem Hang Power Clean, dem 10 m-Sprint und 40 m-Sprint feststellen. Hori et al. (2008) kommen bei australischen Rugby-Spielern zwischen Hang Power Clean (HPC) und diversen Sprung-Variablen zu ähnlichen Ergebnissen.
  • In zwei Metaanalysen (Hackett et al. 2015, Berton et al. 2018) hat OG, in Bezug auf die vertikale Sprunghöhe, im Vergleich zu Krafttraining, im Schnitt um 5% besser abgeschnitten. Im Vergleich zu den Trainingsgruppen, die ein plyometrisches Training durchgeführt haben, waren die Unterschied nur trivial und nicht signifikant.
  • Helland et al.  (2017) hingegen konnten in einer isolierten OG-Gruppe, im Vergleich mit zwei anderen Trainingsinterventionen, keine Vorteile feststellen. Auch wenn die Unterschiede nicht groß waren, hat die OG-Gruppe in so so ziemlich jedem Leistungsparameter schlechter abgeschnitten.
  • Anekdotenhaft wird dem OG nachgesagt, dass OG Vorteile mit sich bringt, da AthletInnen die unter die Langhantel zu “droppen” lernen, lernen hohen Kräften zu widerstehen. Dazu gibt es unseres Wissens nach keinerlei Evidenz.

Weswegen widersprechen sich die Ergebnisse zum Teil? 

Unterschiedliche Studien haben unterschiedliche Methoden und natürlich haben alle Studien ihre Limitationen.

  • Die OG-Interventionen waren, was die Auswahl der Übungen und die Anzahl der Wiederholungen angeht, unterschiedlich.
  • Es wurde oft der Jump and Reach Test angeführt, anstatt dem Goldstandard Counter Movement Jump (CMJ).
  • Niedrige Teilnehmerzahl zur Berechnung von Effektstärken.
  • In den Trainingsgruppen, die als OG-Gruppe angeführt worden sind, waren oft Kombinations-Gruppen. Das bedeutet, es wurden Übungen des OG mit klassischen Krafttraining Übungen kombiniert. Dies ist ein generelles Problem in der Sportwissenschaft, wodurch schwierig zu sagen ist, warum in diesem Fall die erhöhte Sprunghöhe entstanden ist. Mit Ausnahm der Studie von Helland, hat jede Studie OG mit Sprüngen und/oder klassischen Kraftübungen kombiniert.
  • Die Trainingsinterventionen haben teilweise mehr einem Bodybuilding-Programm geähnelt als einer Trainingsintervention, welche die Sprunghöhe verbessern soll (persönliche Ansicht).

Ist die Catching-Phase überhaupt notwendig?

Jeder, der sich bereits ein wenig tiefer mit OG auseinandergesetzt hat, weiß, was mit Pulling Derivatives gemeint ist. Für diejenigen, die den Begriff nicht kennen: es sind ganz einfach ausgedrückt, Elemente aus dem OG, wo die Catching Phase nicht enthalten ist. Übungen, die zu dieser Kategorie gehören, sind folgende: Clean Pull (CP), Snatch Pull (SP), High Hang Pull (HHP), Jump Shrug (JS) and Mid Thigh Pull (MTP). Quasi alle Übungen des OG ohne die Auffangphase (Catch).  Wieso sollte man die Catching Phase auslassen? Timothy J. Suchomel, ein renommierter Wissenschaftler, der eine Vielzahl an Publikationen zu OG publiziert hat, argumentiert wie folgt (Suchomel et al. 2015):

  • Olympisches Gewichtheben sei die einzige Sportart, wo es notwendig ist, die Stange aufzufangen (catchen).
  • Bei der Catching-Phase entstehen die häufigsten Verletzungen (Stone et al. 1994).
  • Die größten Vorteile von OG kommen durch das Beladen der Hüftstreckung.
  • Durch das weglassen der Catching Phase, kann man Lasten verwenden, die mit der Catching Phase nicht möglich wären.
  • Es scheint, als würden gleiche oder sogar höhere Leistungssteigerungen erbracht werden, ohne die Catching Phase.
  • Pulling Derivatives sind weniger komplex und deswegen schneller zu erlernen.

Sind “Pulling derivates” wirklich besser?

  • Im Vergleich zum Mid-Thigh Power Clean erzielt der Mid-Thigh Pull eine höhere Peak Power sowie Peak Force (Comfort et al. 2011). Weiters konnte man beim Mid-Thigh Pull eine höhere Bodenreaktionskraft sowie eine verbesserte Schnellkraft messen, im Vergleich zum Power Clean und Hang Power Clean. Die Effektstärken reichten von groß bis sehr groß.
  • Beim Jump-Shrug sowie High-Hang Pull konnte man eine höhere Relative Peak Power feststellen im Vergleich zum Hang-Power Clean (Suchomel and Sole, 2016). In den ersten 80-85 % des Bewegungsablaufes sind die Werte nahezu identisch. Zum Schluss erzielt der Jump-Shrug dann eine bessere Endleistung.
  • In einer 10-wöchigen Studie (Suchomel et al. 2020) wurden drei Gruppen miteinander verglichen. Eine Gruppe hat OG mit der Catching Phase (nur Pull) ausgeführt. Eine zweite Gruppe ohne Catching Phase und die dritte Gruppe mit einem Overload (Overload bedeutet, dass man Intensitäten höher als das eigentliche Maximum verwendet (Lasten > 100 % 1RM). Die Ergebnisse: Keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen, obwohl kleine bis moderate positive Effekte für die Pull- und OG-Gruppe vorzufinden waren. Um es zu veranschaulichen: Beim CMJ hat sich die Pull Gruppe um 10,5 % gesteigert, gefolgt von der Overload Gruppe (9 %) und zuletzt die Catching Gruppe (6,5 %).
  • In einer weiteren Studie (Suchomel et al. 2020) mit drei ähnlichen Gruppen untersuchte man, wie sich eine Intervention auf den Richtungswechsel und die Sprintfähigkeit (10 m, 20 m, 30 m) auswirkt. Eine Gruppe führte ein Overload Training aus. Die zweite Gruppe führte einzig Pulling Derivatives aus und die dritte Gruppe Übungen anhand der Catching Phase. Die erste Gruppe hat den 10 m-Sprint, im Vergleich zu der Catch-Gruppe, signifikant verbessert, jedoch nicht im Vergleich zur Pull-Gruppe. Zusätzlich hatte die erste Gruppe die besten Zeiten beim 20 m- und 30 m-Sprint, wenn auch nicht signifikant. Trotz keiner statistischen Signifikanz, war die Tendenz leicht besser für die Gruppe, die die Stange teilweise überladen hat. Dies liegt möglicherweise daran, dass es ein komplett neuer Reiz war und dass dieser positive Effekt in einer langfristigen Trainings-Interventionen keinen Vorteil mehr bietet. Eine weitere Interessante Erkenntnis aus der Studie war, dass der Power Clean in dieser Intervention am stärksten durch die Overload Gruppe (6,8 %) verbessert werden, gefolgt von der Pull Gruppe (3,5 %) und Catch Gruppe (3,5 %).

Zusammenfassung:

  • Es gibt Zusammenhänge zwischen den Leistungen des Power Cleans, Hang Power Cleans und athletischen Fähigkeiten.
  • Im Vergleich zu klassischem Krafttraining, in Kombination mit anderen Übungen, scheint OG, in Bezug auf die vertikale Sprunghöhe, besser zu sein. Im Vergleich zu plyometrischen Sprüngen gibt es keine bedeutungsvollen Unterschiede.
  • Es ist vermutlich nicht zwingend notwendig die Catching-Phase zu inkludieren. Es kann sogar zu leicht schlechteren Ergebnissen führen.
  • Das Überladen anhand von Pulling-Elementen kann in kurzen Interventionen möglicherweise zu besseren Ergebnissen führen.

Praktische Empfehlungen

Jetzt folgt kurz gefasst meine persönliche Meinung, ob und inwiefern ich OG für AthletInnen implementieren würde. Dies basiert einerseits auf der Datenlage, die wir aktuell zur Verfügung habe und auf meinen Erfahrung, was ich bisher gesehen und erlebt habe.

  • In einem langfristigen Trainingsaufbau (3-5+ Jahre) würde ich OG, wenn die Ressourcen (guter Trainer, Mobilität) vorhanden sind integrieren. Ich würde großteils auf Pulling-Elemente ausweichen, aber auch Übungen wie den Power Clean integrieren (für Abwechslung und Spaß).
  • Möchtest du einen Athleten oder eine Athletin, der oder die keinerlei Erfahrung mit OG hat, auf einen Wettkampf vorbereiten oder die Leistung kurzfristig verbessern, bieten Pulling Derivates eine gute Alternative zum klassischen OG (aufgrund von reduzierter Verletzungsgefahr, schnellerem Lerneffekt und potentiell besseren Anpassungen).
  • Es macht definitiv Sinn neben klassischem Krafttraining und plyometrischen Sprüngen Elemente aus dem OG zu integrieren, um das gesamte Kraft- Geschwindigkeits-Spektrum abzudecken.

Autor: Pit Hausemer

(Aus dem Blog von Richard Staudner)

(Beitragsbild: BobiPix)

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